Nach Monaten Corona-bedingter Einschränkungen sehnt sich so mancher verständlicherweise danach, wieder zu reisen. Unterwegs zu sein, und in Kontakt mit anderen Kulturen und anderen Ökosystemen zu kommen, ist auch für mich so einzigartig und bereichernd, dass es ein großer Verlust wäre, darauf zu verzichten. Allerspätestens seit den Fridays for Future (und aus Sicht von Fachleuten seit 50 Jahren) ist aber auch klar: Das Fliegen ist mit großem Abstand die klimaschädlichste Handlung, die man als Individuum überhaupt tun kann, und daher nicht zukunftsfähig. Ein Flug nach Australien und zurück trägt etwa so viel zum Klimawandel bei wie alle restlichen Aktivitäten eines durchschnittlichen Deutschen in einem ganzen Jahr.
Es wird regelmäßig festgestellt, wie unüberwindbar dieses Dilemma sei. Es wird dann darauf hingewiesen, dass man die Emissionen seiner Flüge kompensieren kann (was leider nur wenige Prozent der Passagiere tun), oder am besten nicht so weit reisen sollte. Auch Deutschland hat viel Schönes zu bieten. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist eben leider nicht dasselbe, durch den Harz zu schlendern, als durch einen tropischen Dschungel oder auf den Kilimandscharo. Gerade das Reisen in die Ferne hilft uns, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und Wertschätzung und Verständnis für Mensch und Natur zu entwickeln.
Die Frage ist nur: Ist das Flugzeug dafür wirklich so unverzichtbar? Drei Gründe werden oft genannt, warum das so sein soll: Der Preis, die Bequemlichkeit, und die Reisezeit. In vielen Fällen ist das nachvollziehbar, vor allem bei Interkontinentalreisen. Aber es ist eben kein Naturgesetz, dass Zugreisen unbezahlbar sein müssen, schließlich gibt es sie, die Frühbucherrabatte der Deutschen Bahn ins Ausland, das europäische Interrail-Programm, und günstige Züge in weniger entwickelten Ländern sowieso. Man muss eben nur etwas mehr danach suchen als nach dem Schnäppchenflug nach Mallorca. Und dass es bequem sein soll, zum Flughafen zu fahren, sich in Warteschlangen die Füße plattzustehen, dann stundenlang eingepfercht im Flugzeug zu sitzen, um dann erneut in Warteschlangen zu stehen, oder in einem Flughafenbus – warum das alles bequemer sein soll, als in einem Zug zu sitzen, auch wenn das länger dauert, hat sich mir noch nie erschlossen.
Damit kommen wir zum dritten Punkt: der Zeit. Es stimmt schon, wir haben alle wenig Zeit. Wenn man schon weit wegreist, will man seine Zeit gut nutzen. Man will schließlich etwas erleben. Aber warum eigentlich soll man ein fremdes Land nur draußen auf der Straße kennenlernen, aber nicht in einem Zug oder Reisebus? Erleben kann man im Intercity nach Moskau oder Lissabon nämlich oft mehr als im Flugzeug. Wir sollten eine Bahnfahrt deshalb nicht als vertane Zeit, sondern als Teil der Reise begreifen.
Es gibt darüber hinaus aber noch ein anderes Hindernis, das uns immer wieder erneut ins Flugzeug steigen lässt: Der Zugang zu Informationen. Wer einmal versucht, eine internationale Bahnreise zu planen und zu buchen, wird es schmerzlich erlebt haben: Das Bahnnetz in Europa ist ein Flickenteppich. Selbst innerhalb einzelner Länder kann es mehrere Anbieter geben; spätestens an den Grenzen hört der Spaß auf. Die großartigen Fernverbindungen, die es trotz Abschaffung vieler Nachtzüge noch gibt, werden meist nirgends aufgeführt. Hat man trotzdem irgendwie herausgefunden, wie man per Zug zum Ziel durchkommt, muss man sich für gewöhnlich auf den (eventuell nur auf der Landessprache verfassten) Seiten der nationalen Bahnunternehmen die Tickets einzeln zusammenpuzzlen. Ein kleiner Lichtblick ist hier die großartige Seite https://rail.cc/de, die als eine Art Selbsthilfeprojekt von Reisenden ins Leben gerufen wurde, und zumindest hilft, die Routen und die nötigen Streckenanbieter zu finden.
Was angesichts der Lage dringend gebraucht wird:
Was zudem jeder selbst tun kann, ist, den inneren Schweinehund zu überwinden, und bei der Urlaubsplanung den Durchbruch beim persönlichen Klimaschutz zu erzielen, den die internationale Staatengemeinschaft nicht auf die Reihe bekommt.
Dass es möglich ist, beweisen diese vier Beispiele:
Lofoten: Mit dem Zug kommt man von Deutschland aus an einem Tag über Kopenhagen nach Stockholm. Ich muss nicht dazusagen, dass man sich unterwegs beide dieser schönen Städte quasi gratis per Zwischenstopp ansehen kann, im Gegensatz zur Flugreise. Von Stockholm aus fährt ein durchgehender, sehr komfortabler Zug durch die wunderschönen Wälder Lapplands bis nach Narvik (Norwegen), dem Beginn der verwunschenen Inselgruppe der Lofoten. Mit dem Flugzeug zahlt man für die Reise übrigens mehr und muss eher öfter umsteigen als mit dem Zug.
Andalusien: Andalusien, sind das nicht überfüllte Strände mit sonnenverbrannten Leibern, endlose Gewächshäuser und reihenweise Hotels aus Beton? Wenn man im Sommer reist, und genau dorthin, wo alle anderen sind, stimmt das wohl. Andernfalls trifft man auf verwunschene Flusstäler mit verfallenen Gebäuden der Mauren, Korkeichenwälder, eine einzigartig skurrile Minenlandschaft am Río Tinto und mehrere tausend Jahre Kulturgeschichte. Im Fall dieser Reise ist der Billigflieger übrigens tatsächlich im Preisvorteil. Allerdings sind die zwei Tagesreisen in den sehr gut ausgestatteten und zuverlässigen Zügen Frankreichs und Spaniens auch kein Beinbruch. Auf der Strecke liegen zudem urbane Perlen wie Paris, Marseille und Barcelona.
Transsibirische Eisenbahn (Baikalsee, Mongolei, Peking): Ja, die Reise dauert ein paar Tage. Aber die transsibirische Eisenbahn ist für sich allein schon eine Reise wert. Im Zugrestaurant draußen die Taiga im Sonnenuntergang vorbeiziehen zu sehen, bei einer Schüssel Borschtsch und Tee aus dem stets heiß gehaltenen Samowar, und mit den anderen Passagieren Karten zu spielen, ist so ungefähr 1000mal spannender als bei einem geschmacklosen Flugzeugrotwein die Wolkendecke von oben und trashige Filme anzusehen. Mit einem einzigen Umstieg in Moskau und für wenige hundert Euro (das meiste davon für die Strecke Berlin-Moskau) kommt man je nach Route bis zum sagenhaft schönen Baikalsee, in die magische Steppenlandschaft der Mongolei, nach Peking oder auch bis Wladiwostok, von wo aus man sich gleich bis Japan einschiffen kann.
Korsika: Auch hier reicht ein voller Tag für die Anreise – tagsüber mit dem Zug nach Marseille, Nizza oder Toulon (1-2 Umstiege, wieder gilt: empfehlenswerte Zwischenstationen mitnehmen), dann mit der Fähre über Nacht auf die Insel. Und was soll man zu Korsika noch sagen – traumhafte Strände, verwunschene Wanderwege durch zerklüftete Berge, eine atemberaubende Stadt auf den Klippen, eine bewegte Geschichte, und eine erfreulich raubeinige Bevölkerung, die den zerstörerischen Massentourismus bisher halbwegs erfolgreich in die Schranken gewiesen hat.
Links
Verbindungssuche zu internationalen Zielen
https://rail.cc/de
https://www.thetrainline.com/de
https://www.fromatob.com/de-DE
https://www.rome2rio.com/de
Überseefahrten mit Schiffen:
https://frachtschiffreisen-pfeiffer.de
https://www.langsamreisen.de/en
Gute Artikel zum Thema:
https://www.quarks.de/technik/mobilitaet/gruen-reisen-ist-das-moeglich/
https://transform-magazin.de/auf-diesem-weg-kommst-du-ohne-flugzeug-in-den-urlaub/
https://transform-magazin.de/in-80-tausend-tagen-um-die-welt/
https://www.merkur.de/reise/wie-klimaschutz-und-urlaub-zusammenpassen-zr-11829581.html
Hintergrundinformationen zu nachhaltigem Reisen:
https://www.fairunterwegs.org
https://forumandersreisen.de
Vergleich der Emissionen verschiedener Verkehrsmittel:
https://www.quarks.de/umwelt/klimawandel/co2-rechner-fuer-auto-flugzeug-und-co/
https://www.co2online.de/klima-schuetzen/mobilitaet/bahn-oder-flugzeug-der-vergleich/
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