R.I.P. White Christmas? Kommunikationsversuche eines Klimamodellierers

Wie jedes Jahr wünschen sich alle weiße Weihnachten. Wie fast jedes Jahr wird daraus wohl nichts. Verwunderlich ist das kaum, schließlich zählte reges Schneetreiben (zumindest für Bewohner der norddeutschen Tiefebene wie mich) noch nie zu den typischen Wetterphänomenen der Weihnachtszeit, und wird es dank Klimawandel auch so schnell nicht werden. Diese Gedanken brachten mich auf folgende Fragen: Wie wahrscheinlich sind weiße Weihnachten überhaupt? Was sind die regionalen Unterschiede? Und wird es trotz Klimawandel überhaupt nochmal weiße Weihnachten geben? Nichts leichter als das, dachte ich mir, schließlich ist man nicht umsonst Klimawissenschaftler, und die Daten gibt es umsonst (dank einer Klimaforscher-Community, die sich der Wahrheit und dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt und Daten-Dienstleistungen daher nicht an den Meistbietenden verkauft, sondern auch mal ohne Budget in ihrer Freizeit organisiert).

Allerdings zeigt der Versuch einer Beantwortung obiger Fragen exemplarisch, wo die Hürden in der Klimakommunikation häufig liegen. Nachdem ich mich in einer Mischung aus Naivität und Neugier eines Sonntags an den Schreibtisch gesetzt hatte, um das eben mal auszurechnen, drängte sich folgende unangenehme Frage auf: Was genau ist mit „weiße Weihnachten“ eigentlich gemeint? Reicht es, wenn der Schneemann, den man am 18. Dezember gebaut hat, noch nicht komplett weggeschmolzen ist, aber im Rest des Gartens schon wieder Schlamm und fauliges Laub zu sehen sind? Vermutlich nicht. Also lieber eine geschlossene Schneedecke. Was aber meint der gemeine Bürger mit „geschlossen“? Wieviele Zweige der Buchsbaumhecken dürfen da noch durchschauen? Wieviele am Südhang, wieviele im Schatten? Handelt es sich um weiße Weihnachten, wenn am Morgen des 24.12. ein Millimeter dicker Schnee oder Reif oder beides die Welt weiß aussehen lässt, am Abend (wo es dunkel ist) aber wieder weggeschmolzen ist, oder sollte der Schnee am besten tagelang liegenbleiben, wo doch Weihnachten bitteschön vom 24.12. bis zum 26.12. dauert und sich währenddessen in seiner waschmittelproduktähnlichen und unendlichen Weißheit keine Blöße zu geben hat?

Für den klimatisch besorgten Bürger eine Reihe blöder und unnötiger Fragen („Na, weiße Weihnachten halt. Mit Schnee.“), für den Klimawissenschaftler, der seinem Computer das in harten Zahlen mitteilen muss, eine Reihe unangenehmer Entscheidungen. Klar, einfach alles durchprobieren und dann vergleichen, was diese Entscheidungen überhaupt für einen Unterschied machen, klingt immer gut. Zwei Tage und 10 Terabyte (10240 Gigabyte) an Datenprocessing später entscheidet man sich dann aber doch lieber pragmatisch, d.h. man nimmt irgendwas dazwischen, und ggf. noch 2 Extremfälle. Im konkreten Fall heißt das: Weiße Weihnachten sei hier definiert als der Modellmedian der Wahrscheinlichkeit einer Flächenbedeckung mit Schnee von mindestens 50% einer Gitterzelle im Tagesmittel des 24. Dezember, in einem Modellensemble von 36 regionalen Klimamodellsimulationen des Szenarios RCP8.5 (kein Klimaschutz) mit 0,11° (ca. 12.5 km) Auflösung.

Zur Sache, d.h. den Ergebnissen: Es zeigt sich zunächst, was man erfahrungsgemäß schon wusste (was immer gut ankommt bei Wissenschaftskommunikation, denn dann nicken die Leute, sich bestätigt fühlend, freuen sich, dass sie etwas verstehen und erinnern sich später daran): Weiße Weihnachten waren auch in der Vergangenheit schon ziemlich unwahrscheinlich. Sucht man in Deutschland Orte mit einer Wahrscheinlichkeit von über 30% (d.h. Orte, wo es immerhin etwa alle 3 Jahre weiße Weihnachten gibt), bleiben eigentlich nur die Mittelgebirge (Schwarzwald, Erzgebirge, Harz, …) und die Alpen. In Hamburg lag die Wahrscheinlichkeit im Zeitraum 1971-2000 zwischen 10% und 15%, in Köln eher nahe 5%. Unter den deutschen Großstädten kommt allein München auf Werte um die 25%. So in etwa deckt sich dies mit Beobachtungen. Der Wetterkanal von Kachelmannwetter z.B. vermerkt für die zurückliegenden 69 Jahre in Köln nur 4 Jahre mit einer „geschlossenen Schneedecke von 1 cm oder mehr“ während der Weihnachtstage (ja, andere Zeiträume und andere Definition, aber ähnliche Wahrscheinlichkeiten), in Hamburg 12 Jahre und in München 25 Jahre.

Mehrere dieser Ereignisse traten in den 1960er Jahren auf, als das Klima zum vorerst letzten Mal eine Periode der Stagnation erfuhr, bevor die Erwärmung so richtig Fahrt aufnahm. In den letzten vier Jahrzehnten waren eigentlich nur die Jahre 2010, 1986 und 1981 großräumig mit weißen Weihnachten verbunden (dank dieser Recherche weiß ich jetzt übrigens auch, dass meine Geburt am 21.12.1981 einen deutschlandweiten Monster-Schneesturm ausgelöst hat).

Was mich zu den Zukunftsaussichten führt: Welchen Einfluss hat der Klimawandel? Stimmt es, dass wegen veränderter Zirkulationsmuster nach wie vor kalte Winter möglich sind? Kann der Abbruch des Golfstroms vielleicht sogar kältere Winter bringen? So verbreitet solche Spekulationen in den Medien sind: Darauf deutet wenig hin.

Bei weiterhin hohen Emissionen ohne Klimaschutz (und die gegenwärtige Politik ist aus naturwissenschaftlicher Sicht trotz vieler Abkommen und Maßnahmen kein Klimaschutz, weil die globalen Emissionen stark steigen statt zu sinken), sinkt die Wahrscheinlichkeit für weiße Weihnachten bereits in den kommenden Jahrzehnten (2021-2050) in fast ganz Deutschland (sogar in München) auf unter 15%, in Hamburg auf unter 10%. Dieses Szenario entspricht dabei sogar noch grob dem 2°C-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens. Blickt man nur um 15 Jahre weiter in die Zukunft, auf den Zeitraum 2036-2065, hat man bei weiterhin hohen Emissionen (eine globale Erwärmung von 2°C überschreitend), nur noch in den Mittelgebirgen eine nennenswerte Chance auf Schnee, und auch die ist so klein, dass nur ein sehr verzweifelter Zocker Geld darauf verwetten würde.

Der Blick auf den Zeitraum 2070-2099 zeigt: Innerhalb dieses Jahrhunderts können wir es schaffen, weiße Weihnachten in Deutschland faktisch auszurotten, mit Ausnahme der Zugspitze, ihrer Nachbargipfel und ein paar bedauernswerten oberbayerischen Dörfern, die im Winter die hinter den Bergen verborgene Sonne niemals zu sehen bekommen. Damit ist wohl alles gesagt.

Man könnte der Allgemeinheit jetzt noch allerlei erklären, damit man ja nichts verschwiegen oder falsch dargestellt hat. Beispielsweise, dass die Anzahl der Simulationen sich je nach Szenario unterscheidet und dadurch verfälschte Ergebnisse entstehen können, wenn man diese einfach vergleicht; oder warum man trotz dieser Tatsache Aussagen über den Unterschied zwischen Einhaltung des 2°-Ziels und Klimakatastrophen-Szenario treffen kann, wenn man verschiedene Zeitfenster bzw. Levels der globalen Erwärmung in ein und demselben Emissionsszenario vergleicht; oder dass ein direkter Vergleich zu anderen Ermittlungen der Wahrscheinlichkeit für weiße Weihnachten nicht immer 1:1 möglich ist, da eine andere Definition zugrunde gelegt wurde; wie man deshalb die eigene Definition empirisch so gewählt hat, dass die berechneten Wahrscheinlichkeiten ähnlich zu den Berechnungen anderer sind; warum dieses Vorgehen sinnvoll statt verwerflich ist und den Ausblick in die Zukunft nicht in Frage stellt; was die Limitierungen der Klimamodelle sind; warum der tatsächlich beobachtete Wetterablauf nichts mit dem Ablauf in Klimamodellen zu tun hat; warum Klimamodelle trotz dieser Limitierungen dennoch brauchbar sind; was eigentlich diese Modelle überhaupt sind, und die Projektionen, die nicht Vorhersagen genannt werden dürfen und trotzdem zutreffen sollen, und warum es aus statistischen Gründen immer etwas anders kommen kann als die Modelle es sagen, es sich aber nicht automatisch um einen systematischen Unterschied handeln muss; und viele andere Dinge, die mir gerade nicht einfallen.

Spätestens nach 10% der Erläuterungen schalten die Leute aber dann völlig unverständlicherweise ab, klicken auf ein Kätzchenvideo und greifen seufzend in die Keksdose. Es sei ihnen gegönnt.

Schöne Weihnachtstage,

Der Klimatopist