Deutschland ohne Wald? Eindrücke aus dem Urlaub (2)

Es öffnet mir immer wieder die Augen, Umweltveränderungen direkt zu erleben, statt nur theoretisch davon zu wissen. Unser aktuelles Urlaubsziel waren die Wälder in Tschechien und den deutschen Grenzgebieten in Bayern und Sachsen. Statt wie erwartet durch üppiges Grün führt uns die Waldwanderung durch das braune Gestrüpp toter Fichten. Weit und breit ist kein gesunder Baum zu sehen. Der permanente Niederschlag toter Nadeln liegt wie Schnee über der Landschaft. Der Waldboden federt beim Gehen und verströmt einen süßlichen Verwesungsgeruch. Streckenweise führt der Weg durch ein Gebiet, in denen man die toten Bäume abgeholzt hat – eine Art postapokalyptische Todeszone, die mich an die Bilder vom Kahlschlag in den Tropen erinnert.

Am derzeitigen Zustand des Waldes in Mitteleuropa kann man direkt beobachten, welche Folgen die Kombination aus profitmaximierender Forstwirtschaft und Klimawandel haben kann. In der Vergangenheit wurden in vielen Wäldern Plantagen mit Fichten angelegt. Die Bäume stehen dicht an dicht, sind alle gleich alt und zeigen außer in den Baumkronen keinen Hauch von Grün. Mit einem natürlichen Wald haben diese Plantagen fast nichts zu tun, eher mit einem typischen Mais- oder Weizenfeld (nur hässlicher). In der derzeitigen Phase des Trockenstresses hat der Borkenkäfer hier freie Bahn. Zu besichtigen ist das nicht nur im Bayrischen Wald (Böhmischer Wald auf der tschechischen Seite) und dem Elbsandsteingebirge, sondern auch im Harz und anderswo.

Dass das Pflanzen von Fichten-Monokulturen russisches Roulette ist, hat die Forstwirtschaft inzwischen weitgehend erkannt. Wie man in Zukunft vorgehen sollte, ist allerdings umstritten. Das liegt unter anderem am Konflikt zwischen wirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz, aber auch daran, dass wir nicht sicher wissen, welche Rolle der Klimawandel für den Wald spielen wird.

Das erste Waldsterben, vor dem in den 70er und 80er-Jahren zu Recht gewarnt wurde, wurde durch entschiedene Maßnahmen (Luftreinhaltepolitik) erfolgreich abgewendet. Das jetzt stattfindende Waldsterben ist etwas komplexer. In zahlreichen Medienbeiträgen wird die Behauptung aufgestellt, es sei auf den Klimawandel zurückzuführen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Erstens führte das Pflanzen von Monokulturen wie oben beschrieben auch früher schon zu solchen Katastrophen. Zweitens ist die Zeitspanne von einigen Jahren zu kurz, um natürliche Klimaschwankungen vom Klimawandel zu unterscheiden.

Die letzten Sommer waren in Deutschland aufgrund des besonderen Wettergeschehens relativ trocken, insbesondere der Sommer 2018. Noch immer sind die Böden infolgedessen trockener als in den Jahren davor. Im Jahr 2018 brachte das vor allem Missernten in der Landwirtschaft mit sich, seit 2019 sieht man die dramatischen Schäden an Bäumen auch als Laie mit bloßem Auge.

Regionale Klimamodelle für Europa prognostizieren allerdings keine eindeutige Entwicklung des Sommerniederschlags. Die geringen Niederschläge der letzten Jahre diagnostizieren sie eher als Ausnahme, die sich sehr wahrscheinlich so nicht fortsetzen wird. Im Jahresmittel werden die Niederschlagsmengen wahrscheinlich sogar zunehmen. Eine Entwarnung für den Wald ist das allerdings nicht. Es ist nämlich sicher, dass die Temperaturen zunehmen, und damit auch die potentielle Verdunstung. In einer typischen Zeitspanne zwischen zwei Regenereignissen kann daher in Zukunft mehr verdunsten als bisher.

Die Gretchenfrage ist also, ob Änderungen des Sommerniederschlags und seiner Regelmäßigkeit mit der höheren Verdunstung schritthalten können. Manche Klimamodelle deuten darauf hin, andere prognostizieren sogar einen Rückgang der Sommerniederschläge (und somit ein Austrocknen der Böden). Was die Änderung der Dauer von Trockenperioden betrifft, sind die Modelle völlig uneins (anders als gelegentlich behauptet wird); die meisten zeigen keine großen Änderungen. Allerdings zeigt die Mehrheit der Modelle eine zeitliche Umverteilung hin zu mehr Starkregenereignissen, deren Niederschlag dann nicht gut im Boden gespeichert werden kann. Es ist also plausibel, aber nicht besonders sicher, dass die letzten Jahre eine geeignete Analogie für den Klimawandel der kommenden Jahrzehnte sind.

Was außerdem fehlt, ist eine gute Abschätzung, was diese Klimaänderungen für das Überleben bestimmter Bäume bedeuten. Das Leben der Bäume ist so komplex und die Bodeneigenschaften auf kleinstem Raum so unterschiedlich, dass Zukunftsszenarien große Unsicherheiten bergen. Welche Bäume für die Zukunft am besten geeignet sind, lässt sich daher kaum seriös sagen.

Es liegt angesichts der vielen Fragezeichen also nahe, möglichst unterschiedliche Baumarten zu kombinieren, und so das Risiko zu streuen. Die Maßnahmen, die von ökologischen Prinzipien geleitete Forstwissenschaftler und Forstwirte fordern, sind also richtig. Aber nicht, weil wir genau wüssten, was der Klimawandel bringt, sondern genau deswegen, weil wir es nicht wissen.

 

Presseartikel zum Thema:

https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/borkenkaefer-trockenheit-klimawandel-deutschlands-wald-in-der-krise-a-eb28124e-f3f3-40ea-ba4b-24570f850ff4

https://www.sueddeutsche.de/wissen/wald-klimawandel-naturschutz-fortswirtschaft-1.4993814

https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/fragen-an-forstwissenschaftler-wie-sieht-der-wald-der-zukunft-aus-16914784.html

https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2019-07/klimawandel-waldsterben-milliardenschaeden-wiederaufforstung

https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2019-09/waldsterben-klimawandel-duerre-borkenkaefer-waldgipfel-umweltschutz

https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2020-01/forstwirtschaft-deutsche-waelder-klimawandel-duerre-schaedlinge-populismus#zurueck-zur-natur-ist-das-der-weg-um-den-wald-widerstandsfaehiger-und-klimastabiler-zu-machen

https://www.zeit.de/zeit-magazin/2020/34/klimawandel-waelder-forstwirtschaft-trockenheit-hitze-waldsterben

 

Niederschlagsprojektionen regionaler Klimamodelle:

https://epic.awi.de/id/eprint/42086/1/Pfeifer-etal-2015-Atmosphere.pdf

https://link.springer.com/article/10.1007/s10113-013-0499-2

https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/figures/projected-changes-in-annual-and-5