Klimaneutral fliegen – geht das?

Nachdem ich zum wiederholten Male Aussagen der Luftfahrtindustrie gehört oder gelesen habe, die wissenschaftliche Erkenntnisse ausklammern oder verfälscht darstellen, ist es mir ein Bedürfnis, zwei Fragen zu beleuchten: Warum ist das Fliegen so klimaschädlich? Und ist eine klimaneutrale Luftfahrt möglich?

Recherchiert man nach den klimawirksamen Emissionen bei Flugreisen, stößt man auf ziemlich unterschiedliche Zahlen. Der Emissionsrechner der ICAO (International Civil Aviation Organization, eine UN-Agentur) beispielsweise veranschlagt für einen einfachen Flug von Amsterdam nach New York 0,3 Tonnen CO₂ pro Person, während es bei Atmosfair 1,4 Tonnen sind – mehr als viermal so viel. Das liegt hauptsächlich daran, dass hier unterschiedliche Effekte berücksichtigt werden, bzw. im Fall der ICAO eben nicht berücksichtigt werden. Denn leider ist es nicht ganz trivial, die Klimawirkung von Flugzeugen zu bestimmen.

Welche Effekte tragen zur Klimawirkung der Luftfahrt bei?

Der reine CO₂-Effekt durch die Verbrennung von Kerosin ist noch recht gut quantifizierbar. Die von der ICAO genannten 0,3 Tonnen für den Flug Amsterdam – New York betreffen diesen Effekt (erscheinen aber immer noch arg niedrig). Der Anteil der Luftfahrt an den globalen CO₂-Emissionen beträgt so gerechnet etwa 2%. Im Gegensatz zu den meisten anderen klimaschädlichen Technologien wie dem Verbrennungsmotor in PKWs oder der Kohleverstromung ist es beim Fliegen aber nicht allein die Emission von CO₂, die die Erde aufheizt. Diese machen nur etwa ein Drittel bis die Hälfte des Gesamteffekts aus. Hinzu kommen die Emissionen weiterer Verbindungen:

Einfluss des Fliegens aufs Klima. Der Gesamteffekt liegt zwischen 0,04 und 0,14 W/m², mit einem Median von etwa 0,08 W/m² – dreimal mehr als der reine CO₂-Effekt.

  1. Stickoxide. Diese Verbindungen erzeugen wiederum kurzfristig unter der zum Teil starken Sonneneinstrahlung am Oberrand der Troposphäre das Treibhausgas Ozon. Dessen Effekt ist im Mittel über alle Flugreisen ungefähr halb so groß wie der Einfluss des reinen CO₂-Ausstoßs.
  2. Wasserdampf. Die Wirkung des mit den Abgasen ausgestoßenen Wasserdampfs hängt davon ab, unter welchen Umgebungsbedingungen er ausgestoßen wird. Wo die Luft trocken ist, bleibt der Wasserdampf gasförmig und entfaltet so seine Wirkung als Treibhausgas.
  3. Wo die Umgebungsluft eine ausreichend hohe relative Feuchte hat, kondensiert der ausgestoßene Wasserdampf zu Wolken, die man z.B. als Kondensstreifen erkennen kann. Auch kommt es zur vermehrten Bildung von Zirruswolken. Diese Wolken haben eine starke Treibhauswirkung. Die Klimawirkung dieser Wolken ist quantitativ sehr schwer zu bestimmen. Man schätzt, dass sie etwa so groß ist wie der reine CO₂-Effekt, allerdings gibt es auch Schätzungen, die das Doppelte bis Dreifache dieses Werts ergeben. Die untere Grenze liegt deutlich über 0, d.h. es ist sicher, dass der Effekt existiert und erwärmend wirkt.
  4. Rußpartikel. Diese Partikel führen als Kondensationskerne zu vermehrter Wolkenbildung und verstärken daher den Effekt von Punkt 3.

Die Treibhausgaswirkung von Ozon, Wasserdampf und Wolken ist in den Höhen, in denen Flugzeuge typischerweise fliegen, übrigens besonders stark, weil es dort so kalt ist. Bei CO₂ ist der Ort der Emission dagegen nicht relevant, da dieses Gas so langlebig ist, dass es sich gleichmäßig in der Atmosphäre verteilt. Die Nicht-CO₂-Effekte sind dagegen viel kurzlebigerer Natur. Würde ab sofort kein Flugzeug mehr fliegen, würde die Nachwirkung der Nicht-CO₂-Effekte in wenigen Wochen abklingen, das CO₂ würde dagegen noch bis zu Jahrmillionen in der Atmosphäre bleiben.

Abgesehen von den erwähnten, erwärmend wirkenden Effekten haben Flugzeuge auch abkühlende Effekte, z.B. reflektieren die entstandenen Sulfataerosole, Zirren und Kondensstreifen das Sonnenlicht zurück ins All. Rechnet man alles zusammen, erhält man einen Gesamteffekt, der etwa um einen Faktor 2,5 größer ist als der Effekt des reinen CO₂-Ausstoßs. Diesen Faktor nennt man häufig den RF-Faktor (für Radiative Forcing). Er ist mit einer sehr hohen Unsicherheit behaftet, d.h. die Zahl 2,5 ist nur ein mittlerer Schätzwert. Der RF-Faktor könnte durchaus auch bei 4 liegen. Was die untere Grenze des Unsicherheitsbereichs betrifft: Es ist so gut wie sicher, dass der RF-Faktor über 1 liegt, d.h. der Einfluss des Fliegens auf die Erderwärmung ist größer ist als es dem reinen CO₂-Ausstoß entspricht.

Luftfahrtbranche und Politik vernachlässigen den Großteil der Klimawirkung

Und hier liegt der erste Hund begraben. Denn die Luftfahrtindustrie nennt als Zahl oft nur den reinen CO₂-Effekt. Auch die von den Fluggesellschaften angebotene CO₂-Kompensation klammert die anderen Effekte aus und ist daher deutlich billiger als bei seriösen Anbietern wie z.B. Atmosfair. Die Branche rechtfertigt sich gerne mit Verweis auf die Unsicherheit des RF-Faktors. Das ist Augenwischerei. Denn dass die Größe eines Effekts nicht exakt bekannt ist, heißt nicht, dass die beste Schätzung dafür null wäre. Mit derselben Logik könnte man von einem Hochhaus springen, mit dem Argument, dass man die Höhe des Hauses nicht gut kenne und daher vernachlässigen könne, dass es überhaupt eine Höhe hat. Unsicherheiten gibt es aber bei allem was gemessen wird, und trotzdem lassen sich Spannbreiten und Schätzwerte bestimmen und auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand halten. Es ist offensichtlich, dass die Luftfahrtindustrie stattdessen die in der Bevölkerung grassierende Unkenntnis über die Nicht-CO₂-Effekte ausnutzt, um besser auszusehen als sie ist.

Wenn in diesem Kontext also Zahlen genannt werden, sollte man auf folgende Dinge genau achten: 1. Wird hier nur der reine CO₂-Effekt angegeben, oder die gesamte Klimawirkung? 2. Falls letzteres, welcher RF-Faktor wird hier zugrunde gelegt? Ein RF-Faktor unter 2 ist dabei wissenschaftlich fragwürdig. 3. Aus welcher Quelle stammen die Zahlen? Wenn es die Luftfahrtindustrie selbst ist, sind die Zahlen meist schöngerechnet, die genauesten Berechnungen stammen dagegen von Atmosfair.

Klimawirkung verschiedener Transportmittel bei statistisch durchschnittlicher Auslastung und derzeitigem deutschem Strommix.

 

Im Ergebnis lässt sich festhalten: Legt man die durchschnittliche Auslastung verschiedener Verkehrsmittel zugrunde, ist das Flugzeug pro geflogenem Kilometer am klimaschädlichsten – trotz der sehr geringen Reibungsverluste in 10 km Höhe im Gegensatz zum Wind- und Straßenwiderstand am Erdboden. Statistiken, die etwas anderes zeigen, unterschlagen die Nicht-CO₂-Effekte. Dazu kommt, dass man mit dem Flugzeug typischerweise eine sehr viel größere Strecke in kurzer Zeit zurücklegt. In einer einzigen Reisestunde verursacht man somit Emissionen von umgerechnet 200 kg CO₂-Äquivalenten (CO₂-Effekt mal RF-Faktor) – das ist 100 mal mehr als im ebenfalls fossil betriebenen Reisebus, und mehr als ein Einwohner einer mikronesischen Südseeinsel in drei Monaten insgesamt emittiert. Es gibt vermutlich keine andere Aktion, durch die ein einzelner Mensch in so kurzer Zeit so viel Schaden am Klima anrichten kann (vielleicht mal abgesehen vom Anzünden eines Ölfelds). Klimafreundliches Reisen erfordert daher schlichtweg mehr Zeit (hier ein paar Beispiele, wie man auch mit der Bahn für wenig Geld in schöne Länder kommen kann).

 

Klimaschutzpläne für die Luftfahrt

Kommen wir zur zweiten Frage: Was lässt sich daran ändern? Ist eine klimaneutrale Luftfahrt möglich? Und wie kann das gehen? Zur Erinnerung: Die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele erfordert, eine Temperaturschwelle von idealerweise 1,5°C und maximal 2°C globaler Erwärmung nicht zu überschreiten. Das wiederum erfordert, bis Mitte des Jahrhunderts Treibhausgasemissionen von netto null zu erreichen, auch in der Luftfahrt.

Nachdem diese Branche von Klimaschutzmaßnahmen lange völlig ausgenommen war, haben die ICAO-Staaten (International Civil Aviation Organization, siehe oben) sich insofern bewegt, als sie überhaupt Klimaschutzpläne für den Luftverkehr ausgearbeitet haben (inklusive Emissionshandel) und zwar das Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA). Auch der Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), der seit 2016 endlich einen Klimaschutzreport hat, unterstützt den Fahrplan der ICAO. Leider umfassen die in CORSIA geregelten Emissionen nur etwa die Hälfte des weltweiten Luftverkehrs.

Die Klimaschutzstrategie der Luftfahrt: erstmal abwarten, bis die Pariser Klimaziele verfehlt sind, dann auf Effizienz und CO₂-neutrale Kraftstoffe hoffen – und beten, dass niemand bemerkt, dass CO₂ weniger als die Hälfte der Klimawirkung ausmacht und dass die vertikale Achse gar nicht beschriftet wurde. Quelle: BDL

Kurzfristige Maßnahmen: keine

Interessant ist auch, welche konkreten Maßnahmen zur Emissionsminderung geplant sind. Für die nächsten 10 Jahre sind das: keine. Nur die zukünftigen Steigerungen gegenüber heute sollen durch andere klimaschonende Maßnahmen kompensiert werden, aber auch das wurde anlässlich der Coronapandemie aufgeweicht. Selbstverständlich ist eine Kompensation von Emissionen besser als nichts und nicht zwangsläufig verwerflich (auch Umweltorganisationen wie Atmosfair machen nichts anderes). Man fragt sich allerdings, wo diese negativen Emissionen durch Ausgleichsmaßnahmen herkommen sollen, angesichts der Tatsache, dass auch alle anderen Sektoren dringend Emissionen reduzieren müssen und gern etwas davon kompensieren würden. Und während die deutschen Treibhausgasmissionen seit 1990 um 40% gesunken sind, haben sich die Emissionen aus der Luftfahrt im gleichen Zeitraum verdoppelt. Es wäre befremdlich, hierin keine Bringschuld dieses Sektors zu sehen.

Mittelfristige Maßnahmen: Effizienz als Allheilmittel

Mittelfristig sollen gemäß CORSIA dann vor allem Effizienzverbesserungen greifen. Diese bestehen einerseits in technischen Neuerungen beim Flugzeugbau, andererseits in der geeigneteren Wahl von Flugrouten und -zeiten. In letzterem steckt durchaus Potential, weil dadurch die oben genannten Nicht-CO₂-Effekte reduziert werden können. Beispielsweise wirken Zirruswolken wegen der Reflexion von Sonnenlicht tagsüber weniger stark erwärmend als nachts, was man sich mit weniger Nachtflügen zunutze machen könnte. Umleitungen von Flügen um besonders feuchte Luftmassen herum könnten die Wolkenbildung ganz vermeiden (in dem Maße wie der Mehrausstoß von CO₂ durch den Umweg das nicht zunichtemacht). Allerdings setzt diese Abwägung bei der Routenwahl voraus, dass die verschiedenen klimawirksamen Effekte sozusagen live sehr genau quantifiziert werden können. Und das ist wie oben beschrieben eben nicht der Fall. Effizienzsteigerungen kommen zudem nur zur Wirkung, solange die Passagierzahlen nicht steigen. Beispielsweise weist der BDL stolz auf die 43% Effizienzsteigerung hin, die seit 1990 erzielt wurde, verschweigt aber die gleichzeitige Zunahme der Gesamtemissionen um 80%. Aber auch ohne Zuwächse der Passagierzahlen haben Effizienzsteigerungen ein begrenztes Potential. Um in wenigen Stunden tausende von Kilometern gegen den Luftwiderstand zurückzulegen, wird man immer sehr viel Energie brauchen. Die Frage ist, woher sie kommt.

Langfristige Maßnahmen: Die Hoffnung auf technologische Wunder

Die Strategie zur Emissionsminderung der ICAO-Staaten setzt dazu langfristig auf alternative Antriebe. Außer dem allgemeinen Verweis auf Elektroantriebe und alternative Kraftstoffarten bleibt sie viele Details allerdings schuldig. Was Elektroantriebe betrifft, sieht die Lage besonders düster aus: Batterien sind viel zu schwer, um ein großes Passagierflug auf den typischen Distanzen anzutreiben, und ließen sich zudem nur schwer in schon bestehende Flugzeuge einbauen. Und Biokraftstoffe aus Energiepflanzen erfordern sehr viel Fläche, die dann fehlt, um Nahrung anzubauen.

Bleiben also synthetische Kraftstoffe, bei deren Herstellung CO₂ aus der Luft entnommen wird, unter Zuhilfenahme von Strom aus erneuerbaren Energien. Bei ausreichendem Angebot von Strom ließen sich die CO₂-Emissionen so tatsächlich auf null bringen. Auf den Seiten des BDL beispielsweise wird diese Technologie wird großspurig verkündet, dies würde das Fliegen CO₂-neutral machen.

Allerdings wird zu Unrecht impliziert, dies bedeute automatisch Klimaneutralität und würde Einschränkungen von Flugreisen somit unnötig machen. Synthetische Kraftstoffe bedeuten zwar null CO₂-Emissionen, aber nicht automatisch auch null Emissionen von Wasserdampf, Stickoxiden und Rußpartikeln. Das Alternative an diesen Kraftstoffen ist nur die Herstellung, nicht die Verbrennung im Flugzeugmotor, wo die Emissionen entstehen. Selbst wenn überhaupt kein CO₂ mehr ausgestoßen würde, bestehen durch die anderen Effekte also immer noch etwa zwei Drittel des Klimaeffekts weiter. Und obwohl es Ansätze gibt, zumindest die Rußemissionen zu senken, besteht noch viel Forschungsbedarf. Leider wird von Seiten der Industrie auf diese Forschungslücke überhaupt nicht hingewiesen. Einen Fahrplan für eine klimaneutrale Luftfahrt gibt es also nicht, es wird nur so getan als ob.

Klimaziele erfordern weniger zu fliegen

Das Fazit lautet also zwangsläufig: Eine klimaneutrale Luftfahrt ist bei den heutigen Passagierzahlen aktuell technisch unmöglich, und auch in ferner Zukunft kein Selbstläufer. Das Pariser Klimaschutzziel erfordert dagegen sofortige drastische Senkungen der Emissionen. Wer zu diesem Ziel steht (und offiziell tun das nahezu alle Staaten der Welt), landet zwangsläufig bei starken Einschränkungen in der Zahl der Flugreisen. Das von der ICAO angestrebte Szenario ist dagegen völlig ungeeignet für das Einhalten des 2°C-Ziels, auch wenn alle Staaten dabei wären. Würden alle Branchen so Klimaschutz betreiben, läge die Erwärmung im Jahr 2100 etwa bei 4°C. Der Climate Action Tracker, der die Wirksamkeit von Klimaschutzvorhaben überprüft, gibt den ICAO-Maßnahmen daher die schlechtestmögliche Bewertung: „critically insufficient“.

Sinn machen würde gerade die gegenteilige Strategie als die der ICAO: Gerade jetzt, über die Corona-Zeit hinaus, müssten drastische Einschnitte in der Zahl der Flugreisen erfolgen, um damit Zeit zu gewinnen für mehr Forschung und für Effizienzsteigerungen. Eine Reduktion der Flugreisen wäre nicht nur eine Entlastung für das verbleibende Kohlenstoffbudget, sondern würde über die sofort wirkende Reduktion der Nicht-CO₂-Effekte kurzfristig helfen, die Klimaziele einzuhalten. Denn die Zeit dafür wird knapp.

Quellen und Lesetipps