Wahlkampf gegen die Naturgesetze

Dass ein Wahlkampf nicht immer komplett ehrlich ist, weil Parteien Dinge übervereinfachen und zuspitzen, daran bin ich ja gewöhnt. Aber wenn die Wahlprogramme allesamt gegen die Naturgesetze argumentieren, macht einen als Wissenschaftler doch manchmal etwas fertig.
Denn alle im Bundestag vertretenen Parteien schreiben, dass sie sich dem 1,5°C-Ziel verpflichtet fühlen (außer die AfD, die einfach ignoriert, dass es überhaupt ein Problem gibt).
Man kann naturwissenschaftlich ausrechnen, was das 1,5°C-Ziel für die Emissionen bedeutet, die noch möglich sind, bevor diese Schwelle erreicht wird. Mit der gegenwärtigen Emissionsrate von Treibhausgasen sind das nur noch ein paar Jahre. Diese Bundestagswahl ist also die letzte, die darüber entscheidet, ob Deutschland seinen Teil dazu beiträgt, dass das Pariser Klimaschutzziel von 1,5°C eingehalten wird.
Der Sonderbericht zu 1,5°C des IPCC hat z.B. berechnet, dass das CO2-Budget noch 420 Gigatonnen beträgt, wenn wir das 1,5°C-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% erreichen wollen. Das garantiert also nur eine 2/3-Chance, dass wir es schaffen. Aufgrund von wissenschaftlichen Unschärfen bei der Bestimmung der Klimasensitivität und der Balance des Kohlenstoffkreislaufs kann es passieren, dass das Ziel trotzdem verfehlt wird. Das Basisjahr, ab dem das Budget von 420 GtCO2 gilt, ist 2018. Seitdem haben wir ungefähr so weiter gemacht wie bisher, abgesehen von einem kleinen Coronaknick. Es bleibt also eigentlich noch weniger Zeit.
Da Deutschland etwa 1% der Weltbevölkerung ausmacht, beträgt unser Teil des Budgets 4,2 GtCO2.
Zum Glück haben sich das Konzeptwerk Neue Ökonomie und eine Studie des DIW die Mühe gemacht, die Wahlprogramme von Union, SPD, Grünen, FDP und Linken daraufhin zu analysieren, welche Einsparungen aus deren Maßnahmen folgen. Auch einige andere Presseartikel widmen sich dem Thema (Links siehe unten).
Die Ergebnisse sind ziemlich ernüchternd: Keine einzige Partei kann glaubhaft machen, wie das Budget eingehalten werden soll. Bei manchen Parteien ist die Lücke relativ klein, bei anderen riesig. Vor allem im Verkehrssektor sieht keine Partei gut aus. Ein kurzer Überblick:
CDU/CSU: Das 140-seitige Programm ist so vage, dass sich kein klares Budget daraus ableiten lässt. Man bekommt den Eindruck, dass nicht viel passieren wird. Klimaschutz soll vor allem in Entwicklungsländern und Schwellenländern gemacht werden, weil er dort billiger sei (S. 16-17). Auch dies ist eine Argumentation gegen die Naturgesetze, denn für 1,5°C müssten alle Staaten in den nächsten Jahren drastisch einsparen und in ca. 25 Jahren auf null Emissionen kommen.
FDP: Verweist einfach auf EU-Emissionsziele, die aber bekanntermaßen viel zu schwach sind für 1,5°C, sowie auf den globalen Emissionshandel, den es aber de facto nicht gibt.
SPD: Bewirbt das Klimaschutzgesetz, das es eh schon gibt (also das, zu dem das Bundesverfassungsgericht Union und SPD zwingen musste). Will ungefähr so weiter machen wie bisher; die meisten Maßnahmen sind sehr klein angesichts der Aufgabe.
Grüne: Sind vergleichsweise nah dran, dank vieler konkreter Maßnahmen. Kurioserweise fußt ihr im Parteiprogramm genanntes Budget aber auf einem Rechenfehler, oder ist es ein absichtlicher Fehler, man weiß es nicht. Denn das genannte Budget passt nicht zum 1,5°C-Ziel, sondern nur zum 2°C-Ziel. Das 1,5°C-Ziel würde erkennbar verfehlt, was die Partei aber nicht zugibt.
Die Linke: Haben als einzige ungefähr das korrekte Budget angegeben (Gratulation, jemand hat den IPCC-Bericht tatsächlich angesehen; oder es ist die einzige Partei, die rechnen kann) und dazu meist passende Maßnahmen, wollen aber aus Prinzip keinen Emissionshandel.
AfD: Klimawandel gibt es entweder gar nicht, bzw. ist nicht menschengemacht, bzw. ist kein Problem (je nachdem welchen Politiker man fragt). In jedem Fall lehnt die Partei Klimaschutzziele ab und schlägt daher auch keine Maßnahmen vor. Immerhin letzteres ist konsequent argumentiert.
Alle Parteien behaupten auch, sie würden Dinge abwägen und der Sachlage angemessen handeln. Aus purer Logik heraus, hat man als Politiker zwei Möglichkeiten, die beide demokratisch völlig legitim sind:
1. „Das 1,5°C-Ziel ist uns zu ambitioniert, da es zu viele Verwerfungen gibt, das einzuhalten. Wir peilen 2°C an (und beginnen mit radikalem Klimaschutz, der auch für dieses Ziel nötig ist).“
2. „Wir ergreifen drastische Maßnahmen, um unser Budget fürs 1,5°C-Ziel einzuhalten.“
Alles andere sind Nebelkerzen, die offenbar immer noch verfangen, wenn sich Leute nicht genug mit der Materie auskennen.
Damit eine Demokratie funktioniert, und am Ende das gemacht wird, was eine Mehrheit der Menschen möchte, muss es zuallererst ehrlich zugehen. Es gibt ja das schöne Zitat: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit“. Ich gebe einen Tipp: Es war ein Politiker der Union, der das gesagt hat.
Und zum Thema: „Klimaschutz muss man sich leisten können“: Das stimmt! Deshalb wäre es vielleicht ratsam, Parteien zu wählen, denen es auch ein Anliegen ist, dass es sozial gerecht zugeht und Leute nicht verarmen. Dass das machbar ist, wurde ebenfalls in wissenschaftlich fundierten Studien belegt. Ich möchte auf meiner Seite eigentlich keinerlei Parteipolitik betreiben. Aber wenn sich Parteien gegen die Realität stellen, zwingen sie mich fast dazu.
Viel Spaß beim Wählen!
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