Bäume pflanzen für den Klimaschutz?

Vor einiger Zeit habe ich eine Urkunde meines Stromanbieters bekommen. Durch den Bezug von Ökostrom habe ich 800 kg CO₂-Emissionen vermieden. Damit hätte ich den Klimaschutzeffekt von 40 Bäumen erzielt. Der Fußabdruck-Rechner von sauberenergie berechnet mir für dieselbe Menge eingespartes CO₂ 80 Bäume, beim Fußabdruckrechner von naturefund dagegen heißt es, ich brächte weniger als zwei Bäume, um die kompletten 800 kg CO₂ zu kompensieren (Überblick zu Fußabdruckrechnern hier). Ja was denn nun?

Inzwischen bieten private Unternehmen sogar an, die persönliche oder betriebliche Treibhausgasbilanz durch Offset-Maßnahmen zu verbessern. Damit die eigenen Emissionen kompensiert werden, wird anderswo Wald geschützt oder aufgeforstet. Das Pflanzen bzw. Erhalten von Wäldern ist also ein sehr populäres Klimaschutzinstrument. Wald ist zudem unbestreitbar wichtig als Lebensraum unzähliger Arten, ein wichtiger Erholungsort für uns Menschen, und er puffert die Temperatur an heißen Tagen, was insbesondere in Städten wichtig ist. Der Klimaschutzeffekt von Wäldern wird allerdings aufgrund einiger Missverständnisse gelegentlich maßlos überschätzt, weshalb auch die obigen Angaben so weit auseinanderklaffen.

Das fängt bereits an mit der so vagen wie häufig verbreiteten Aussage, dass Bäume CO₂ binden. Man erinnert sich dabei vielleicht daran, dass Pflanzen bei der Photosynthese CO₂ aufnehmen und Sauerstoff abgeben. Bäume tun das aufgrund ihrer Größe in besonderem Umfang, zumindest in den Tropen und mittleren Breiten wo sie besonders produktiv sind. Jedes Jahr werden so etwa 120 GtC (Milliarden Tonnen Kohlenstoff) pro Jahr von der Landvegetation aufgenommen. Gegenüber menschlichen Emissionen von etwa 10 GtC (also unter 10%) erscheint das auf den ersten Blick sehr viel. Allerdings ist das nur der eine Ast eines natürlichen Kreislaufs. Genausoviel CO₂, wie von bestehenden Wäldern in einem ökologischen und klimatischen Gleichgewicht aufgenommen wird, wird jedes Jahr auch wieder frei, weil auch Pflanzen atmen müssen, und weil tote Äste, Blätter usw. verrotten. Die Gesamtmenge an Kohlenstoff in den Ökosystemen bleibt in einem solchen Gleichgewicht konstant. Insgesamt sind in Landökosystemen ungefähr 2000 GtC enthalten, das meiste davon unterirdisch als organischer Anteil der Böden. Um den Klimawandel zu bekämpfen ist es natürlich sehr wichtig, dass davon so wenig wie möglich in die Atmosphäre gelangt. Ungefähr 13% der CO₂-Emissionen stammen derzeit aus Landnutzung, vor allem durch Abholzung in den Tropen. Die verbliebenen Wälder zu schützen ist für das Erreichen der Klimaziele unabdingbar. Diese Maßnahme bedeutet eine direkte Reduzierung der Quellen von CO₂.

Kohlenstoffkreislauf mit Flüssen in GtC pro Jahr. Weiße Zahlenwerte: natürlicher Kohlenstoffkreislauf, schwarze Zahlen: menschliche Störung.

Wie sieht es nun aber mit dem Potential der Wälder aus, als zusätzliche Senke zu wirken, d.h. nicht nur den ohnehin gespeicherten Kohlenstoff zu behalten, sondern noch zusätzlich CO₂ aus der Atmosphäre aufzunehmen und dann zu halten (man spricht dabei von Carbon Capture & Storage)? In gewissem Sinne geschieht das derzeit sogar von allein: Durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe steigt die Menge an CO₂ in der Atmosphäre. Das zusätzliche CO₂ macht es einigen Pflanzen leichter, Photosynthese zu betreiben, und sie werden dadurch produktiver. Man spricht dabei von CO₂-Fertilisierung, bzw. dem „Düngeeffekt“. Ähnliches passiert im Ozean, wo das Überangebot an CO₂ zu einer netto-Aufnahme führt. Deshalb verbleiben auch nur etwa 45% der menschlichen Emissionen in der Atmosphäre.

Zu erwarten, dass das so bleibt, wäre allerdings eine Milchmädchenrechnung (das passiert aber gelegentlich auch populären Wirtschaftswissenschaftlern, die sich mit dem Klimasystem nicht auskennen). Denn bei zunehmendem Klimawandel (ganz abgesehen von anderen Eingriffen in die Ökosysteme) werden Wälder immer mehr gestresst und können dann nicht mehr so viel CO₂ binden. Beispielsweise ist Amazonien von einer massiven Austrocknung bedroht, was dazu führt, dass schon jetzt in manchen Jahren mehr CO₂ abgegeben als aufgenommen wird. In den nächsten Jahrzehnten wird dieser Trend sich verstärken, wenn die Emissionen nicht sinken, und es wird spekuliert, ob dann sogar die gesamte Landvegetation von einer Senke zu einer CO₂-Quelle umschlagen kann. Und auch in einem optimistischen Szenario sollte man nicht auf die Wälder zählen: Denn gelingt es uns, die CO₂-Konzentration der Luft zu stabilisieren oder sogar zu senken, kommt langfristig auch der Düngeeffekt zum Erliegen. Es reicht also nicht, nur die Menge an CO₂ einzusparen, die sich heute jedes Jahr in der Atmosphäre anreichert (45% der Emissionen), sondern es müssen sämtliche Emissionen auf null gebracht werden.

Lange Rede, kurzer Sinn: Um mit Bäumen einen zusätzlichen CO₂-Speicher zu schaffen, der einen Teil der Emissionen aufnehmen und langfristig halten kann, müssten zusätzliche Waldflächen geschaffen werden, und/oder die Bewirtschaftung bestehender Wälder müsste so geändert werden, dass die Netto-Aufnahme von CO₂ steigt. Der Einfachheit halber gehen wir hier einmal vom ersten Fall aus, d.h. der Umwandlung von Landflächen, z.B. von Gras- oder Ackerland zu Wald. Das Problem dabei besteht in zwei wesentlichen Punkten:

1. Der CO₂-Speichereffekt ist nur ein Effekt, den Wald auf das Klima hat. Andere (sogenannte biogeophysikalische) Effekte sind ähnlich wichtig. Dabei handelt es sich um Strahlungseffekte, Zirkulationseffekte und den Wasserkreislauf betreffende Effekte. In den Tropen beispielsweise wirkt die hohe Verdunstung durch Bäume zusätzlich kühlend. In hohen Breiten dagegen ist die geringe Albedo (Reflektivität gegenüber Sonnenlicht) der dunklen Bäume im Vergleich mit einer geschlossenen Schneedecke sehr hoch, so dass Wälder dort trotz der CO₂-Speicherung erwärmend wirken können. Wo derzeit abgeholzt wird (Tropen) ist die Erwärmungswirkung der Abholzung also leider besonders hoch, wo aufgeforstet wird (mittlere und hohe Breiten) ist der kühlende Effekt gering bis negativ (d.h. erwärmend). Der Gesamteffekt eines Baums auf die Temperatur hängt aber nicht nur vom Ort, sondern auch von der Entfernung zum Ort der Aufforstung (lokale versus globale Effekte) und von der Jahreszeit ab. Aufgrund dieser Komplexität ist die global und jährlich gemittelte Temperatur keine geeignete Größe, um die Auswirkungen von Aufforstung sinnvoll zu erfassen.

2. Das Kohlenstoff-Speicherpotential von Aufforstungsmaßnahmen ist im Vergleich mit den globalen Gesamtemissionen sehr klein, und die Flächen sind begrenzt.
Was hierbei so gut wie immer unterschlagen wird, ist, dass auch Graslandschaften durchaus Kohlenstoff binden. Die CO₂-Senke eines zusätzlichen Baums ist daher nicht die Menge an Kohlenstoff, die am Ende in dem Baum enthalten ist, sondern nur die Differenz zu der Vegetation, die der Baum ersetzt hat. Beispielsweise enthält die Taiga (borealer Nadelwald) nur 15% mehr Kohlenstoff als die Tundra (Kältesteppe nördlich der Taiga).

Je nachdem ob abgeholzt oder aufgeforstet hat derselbe Wald einen unterschiedlichen Einfluss auf den Verlauf der CO₂-Konzentration in der Atmosphäre. In dieser idealisierten Berechnung mit einem simplen Modell wird dieselbe Menge CO₂ einmal sofort der Atmosphäre hinzugefügt (Abholzung), und einmal im Zeitraum über 100 Jahre allmählich aufgenommen (Aufforstung). Der aufgeforstete Wald kann erst nach 50 Jahren den Effekt des abgeholzten Waldes kompensieren.

Außerdem ist zu bedenken, dass Aufforstung nicht bedeutet, den Klima-Effekt von Abholzung einfach umzukehren. Man halte sich nur einmal vor Augen, wie langsam ein Baum eigentlich wächst. Eine neu gepflanzte Buche in Deutschland beispielsweise nimmt anfangs nur wenige Kilogramm CO₂ pro Jahr auf, nach ein paar Jahrzehnten etwa 10-20 kg, und wenn sie nach einigen Jahrzehnten ausgewachsen ist, nichts mehr. Zum Vergleich: In jedem Jahr emittiert ein Deutscher derzeit im Schnitt über 10.000 kg CO₂. Nehmen wir als Beispiel an, die ausgewachsene Buche enthält eine Tonne Kohlenstoff. Bei der Abholzung einer solchen Buche wird diese Tonne zu einem großen Teil auf einen Schlag frei und erwärmt als CO₂die Erde (ich gehe hier davon aus, dass das Holz verbrannt wird, was global betrachtet häufig der Fall ist). Im Lauf der Zeit werden 45% des CO₂ durch Land und Ozean aufgenommen, der Rest erwärmt die Erde weiter. Bei der Aufforstung dagegen werden über Jahrzehnte jedes Jahr ein paar Kilo Kohlenstoff aus der Luft genommen. Da der Rest des Kohlenstoffkreislaufs in dieser langen Zeit wieder mit der Störung ins Gleichgewicht kommt, sinkt die CO₂-Menge der Luft allerdings kaum. Das Ungleichgewicht zwischen den Kohlenstoff-Vorräten in Atmosphäre, Land und Ozean ist zu jedem Zeitpunkt klein und die CO₂-Menge der Atmosphäre (der Faktor, der für die globale Erwärmung sorgt) ist zu keinem Zeitpunkt so stark beeinflusst wie im Fall der Abholzung. Obwohl es sich um ein und denselben Baum handelt, ist die Wirkung aufs Klima also keinesfalls symmetrisch. Einen Baum stehenzulassen ist daher (abgesehen von den oben erwähnten biogeophysikalischen Faktoren) klimafreundlicher, als ihn zu fällen und anderswo einen vergleichbaren Baum zu pflanzen (was meinem Eindruck nach im deutschen Recht noch nicht unbedingt angekommen ist angesichts der vielen „Ausgleichsmaßnahmen“ bei Bauprojekten).

Dieses Problem der langen Zeitskala ist auch ein wesentlicher Grund, warum die Ergebnisse der CO₂-Rechner so unterschiedlich ausfallen: Gemäß der Rechnung von naturefund würden 1-2 Bäume über ihr gesamtes Leben hinweg tatsächlich so viel CO₂ aufnehmen, wie durch meinen Stromverbrauch eines Jahres entsteht (hätte ich keinen Ökostrom). Allerdings habe ich diesen Stromverbrauch jedes Jahr aufs Neue, müsste also auch jedes Jahr neue Bäume pflanzen. Um Aufforstung in so großem Maßstab zu betreiben, dass ein relevanter Anteil der fossilen Emissionen kompensiert werden könnte, bräuchte man daher extrem viel Fläche, die dann nicht für anderweitige Nutzung (v.a. Landwirtschaft) zur Verfügung steht. Auf das Beispiel der Buche bezogen: Um die deutschen Emissionen zumindest nach ein bis zwei Jahrzehnten komplett durch Aufforstung zu kompensieren, müssten pro Person 1000 Buchen gepflanzt werden. Das entspricht der aktuellen Anzahl aller Bäume in Deutschland, bzw. etwa 30% der Landesfläche pro Jahr. Nachdem die Buchen ausgewachsen sind (nach ein paar Jahrzehnten), müssten sie allerdings nachgepflanzt werden, wofür man wieder dieselbe Fläche braucht. Die alten Buchen müssten selbstverständlich stehen bleiben.

Nun ist Deutschland zwar relativ dicht besiedelt, aber auch global betrachtet zeigt sich, dass das Pflanzen von Bäumen nur ein nebensächlicher Beitrag zum Klimaschutz sein kann. Auch hierzu ein Gedankenexperiment: Nehmen wir einmal an, es wäre möglich, die komplette historische Landnutzung (also v.a. Abholzung) rückgängig zu machen und sozusagen zur vor-menschlichen natürlichen Vegetation der Erde zurückzukehren (wobei klar ist, dass dann kaum mehr Platz für Landwirtschaft und Siedlungsflächen da wäre). Die Gesamtemissionen durch Landnutzung in der Menschheitsgeschichte betragen ungefähr 200 GtC, d.h. wir nehmen an, diese Menge würde man im Lauf der Zeit wieder speichern können. Da aber die fossilen Emissionen über 10 GtC pro Jahr betragen, wäre der Effekt der Aufforstung bei weiter so hohen Emissionen bereits nach 20 Jahren wieder Zunichte gemacht.

So schützenswerte und wundervolle Lebewesen Bäume also auch sind: An der Dekarbonisierung der Industriegesellschaft als Klimaschutzinstrument Nr. 1 führt kein Weg vorbei, wenn die Pariser Klimaschutzziele eingehalten werden sollen.

 

Tipps zum Weiterlesen

Kommentar der Welthungerhilfe zum Thema

https://www.welthungerhilfe.de/welternaehrung/rubriken/klima-ressourcen/aufforstung-gegen-den-klimawandel/

Erklärung der verschiedenen Effekte von Landnutzungsänderungen aufs Klima:

https://www.klimanavigator.eu/dossier/artikel/012040/index.php

https://www.fdr.uni-hamburg.de/record/9949#.YmJ7stPP2Uk

Review-Artikel zu biogeophysikalischen Effekten:

https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/aa6b3f